Netflix und Co.: Die Effekte von „Teen-Shows“ auf Jugendliche

Warnung: In diesem Text werden die Themen Suizid, Drogenmissbrauch und sexueller Missbrauch thematisiert.

Netflix wurde 1997 gegründet und operierte als online DVD-Verleih, mittlerweile hat die Streaming-Plattform 203,66 Millionen Abonnent:innen. Mit dem Aufstieg von Netflix konnte sich die Plattform etablieren und auch eigene Werke rausbringen. Schnell folgten andere Streaming-Websites. Viele Serien der Seite wurden Hits, aber zogen auch Folgen mit sich. Was für Effekte haben Serien auf Jugendliche und wie fiktional sind sie wirklich?


Am 31. März 2017 erschien die Erfolgsserie „Tote Mädchen lügen nicht“ (Original: “13 Reasons Why”). Die Serie handelt von Hannah Baker und ihren 13 Gründen in den Suizid. Sie nimmt 13 Kassetten auf und lässt diese, nach ihrem Tod, Mitschülern und Lehrern zukommen. Nur Personen, welche ihr einen Grund für den
Selbstmord gaben, bekommen die Kassetten. Nach dem Erscheinen der Serie gab es großen Aufruhr. Hannahs Suizid wird bis ins Detail gezeigt. Auch das Konzept, anderen die Schuld für den Selbstmord einer Person zu geben, lässt nachdenken. Nach einem Monat der Ausstrahlung stieg die Suizidrate an. Unter den zehn-17-Jährigen so weit, dass Wissenschaftler nicht mehr von normalen Schwankungen reden konnten.

Kommunikationswissenschaftler Markus Schäfer sagt, dass der Zusammenhang zwischen Suizid und medialer Berichterstattung schon länger beobachtet wird. Dies nennt man auch den „Werther-Effekt“. Nachdem Goethe seinen Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ veröffentlich hatte, hatte es als Reaktion vermehrt Suizide in der Bevölkerung gegeben. Einige Menschen brachten sich auf die gleiche Art und Weise um, wie Werther in dem Roman, manche hatten sogar den Roman noch in
der Hand. Goethe schrieb das Buch um, allerdings war es in Mailand sogar verboten. Auch in den 1980ern konnte man einen Anstieg an Eisenbahnsuiziden feststellen. Grund dafür war die Serie „Tod eines Schülers“, in der ein Junge sich vor den Zug wirft.

Über „Tote Mädchen lügen nicht“ sagt Schäfer, dass das eigentliche Problem in der detaillierten Darstellung und in der Vereinfachung der Ursachen des Suizids liegt. Menschen sind eher in der Lage, „sozial“ zu lernen, sprich, wenn wir uns ein Tutorial auf YouTube anschauen, lernen wir schneller. So ist das auch bei der Serie. Man kommt leichter auf Ideen. Man lernt durch mediale Inhalte neue Handlungsmodelle, in diesem Fall vielleicht neue Selbstmordpraktiken oder neue Gründe für den Selbstmord.

Die Serie vereinfacht die Gründe von Hannahs Suizid und schiebt die Schuld auf andere. Das kann für kranke Menschen gefährlich sein. Psychisch gesunde Menschen hingegen, kommen damit eher klar. Schäfer sagt auch, dass Suizid in den Medien nicht tabuisiert werden sollte, schließlich ist dies ein ernstes und akutes Problem.

In Deutschland gibt es jedes Jahr rund 10.000 Selbstmorde, das sind mehr als Tote durch Verkehrsunfälle, Drogen und HIV zusammen. Allerdings sollten Filmemacher eher klar machen, dass Suizid sich verhindern lässt. Komplexe Hintergründe sollten also richtig dargestellt und klargemacht werden. Die Selbstmordszene von Hannah Baker wurde nach zwei Jahren Ausstrahlung aus der Serie entfernt. Zudem wurden ausführliche Triggerwarnungen vor jeder Folge hinzugefügt.


Eine weitere beliebte Serie unter Jugendlichen ist „Euphoria“. Diese wird auf HBO Max ausgestrahlt und handelt von High School Schüler:innen und ihren Problemen. Erzählt wird die Serie aus der Sicht des Hauptcharakters „Rue“, gespielt von Zendaya. Sie stellt eine drogensüchtige Jugendliche dar. Die Serie selbst handelt viel von Drogenmissbrauch, Sex und Depressionen/Suizid.


Allerdings entspricht all das nicht der Realität von amerikanischen High School Schüler:innen. Seit 1991 ist der Sex unter Jugendlichen von 62 auf 42 Prozent gesunken. Ebenso der Drogenmissbrauch. Gerade einmal 0,5 Prozent der befragten Jugendlichen haben im letzten Monat halluzinogene zu sich genommen, das ist ein Drittel der Rate, der späten 1990er Jahrgängen. Auch der Alkoholkonsum ging runter. So haben nur 19 Prozent der Zehntklässler in den letzten 30 Tagen Alkohol zu sich genommen, das sind 40 Prozent weniger als in den 1990ern. Suizid bleibt jedoch ein relevantes Problem. Die Suizidrate stieg von 2008 bis 2014 dramatisch. 2017 war sie unter Mädchen doppelt so hoch wie 2000. Zudem wurde ein Anstieg in Angststörungen und Depressionen, bei Kindern im Alter von sechs bis 17 Jahren, beobachtet, dieses Phänomen stieg um 8,4 Prozent an.


„Euphoria“ gerät in die Kritik. Oft wird gefragt, warum die Charaktere keine Student:innen seien, vielleicht würden dann weniger Minderjährige die Sendung konsumieren. Schauspielerin Zendaya antwortet darauf, dass die Serie für Menschen über 18 sei. Minderjährige sollten sie nur mit einem Elternteil anschauen.
Die Probleme in der Show seien echte Probleme, auch von High School Schüler:innen. Generell existieren so „extreme“ Shows, damit Kinder und Jugendliche sich nicht allein fühlen. Sie sollen wissen, dass ihre Probleme relevant und teilweise normal sind.


Was ist jetzt die richtige Lösung? Aufklärung und das Ende von Tabus. Es muss über die Probleme gesprochen werden, denn existieren tun sie, egal was. Den Menschen sollte klar gemacht werden, dass sie nicht alleine sind und dass es Hilfe für ihre Probleme gibt.

Leidest du oder jemand, den du kennst? Hilfe ist immer da. Nummern, die man in Notfällen wählen kann: 112 oder 116 117. Die Nummer des Sorgentelefons ist 0800 111011 oder 0800 1110222.

Von Natascha Ilic

Foto: Symbolbild, Pixabay

Empfohlene Artikel