Unser gesamter Blog basiert auf der Idee von konstruktivem Journalismus und jetzt kommt ein Beitrag über toxische Positivität? Geht es beim konstruktiven Journalismus nicht genau darum, sich auf die positiven Seiten zu konzentrieren und stets Lösungen zu präsentieren? Warum das nicht ganz stimmt und den Journalismus im Gegenteil weniger konstruktiv machen kann, besprechen wir hier.
Als Reaktion auf ständig schlechte Nachrichten und den Negativitätsbias der Medien hat sich schon seit vielen Jahren ein Trend entwickelt, bei dem viele auf den Konsum von Nachrichten verzichten und Optimismus und Gelassenheit für das eigene mentale Wohlbefinden anstreben. Zahlreiche Selbsthilfebücher und Artikel zu diesen Themen wurden herausgegeben: „Die Kunst des Optimismus“, „Optimistische Menschen sind glücklicher“, „Optimis-MUSS-sein“. Doch muss der wirklich sein?
Es stimmt, Menschen, die optimistischer denken, sind allgemein glücklicher als pessimistische Menschen, das beweist eine Vielzahl an Studien. Sie erwarten, dass ihnen positive Dinge widerfahren werden, verlieren nicht die Hoffnung und sehen Möglichkeiten, wo ein Pessimist nur Probleme sieht. Sie geben nicht so schnell auf und begegnen stressigen Situationen mit besseren Bewältigungsstrategien. Denn im Kern des Optimismus liegt der Wunsch und die Tendenz zu Grunde, nach Lösungen zu suchen und das Potenzial in schwierigen Situationen zu sehen. Er basiert auf der Überzeugung, dass es immer eine Lösung gibt.
Klingt soweit gut. Doch geht auch zu viel Optimismus? Ja. Die so genannte toxische Positivität tritt auf, wenn Menschen glauben, dass jegliche negative oder kritische Gedanken um jeden Preis vermieden werden sollten. Toxische Positivität entsteht aus der unrealistischen Erwartung, immer ein vollkommen glückliches Leben führen zu müssen. Gelingt dies nicht, entstehen Scham- und Schuldgefühle, weil der angestrebte Perfekt-Zustand nicht erreicht wird. Wenn eine Person negative Gefühle und Gedanken verweigert, obwohl diese angemessen wären, wird Positivität toxisch.
Vielleicht haben Sie sich auch schon mal geärgert, oder sich unwohl gefühlt, wenn Ihnen Positivität aufgezwungen wurde. „Mach dir überhaupt keinen Stress!“, haben Sie bestimmt schon einmal gehört, als Sie in einer offensichtlich stressigen Situation waren oder Sie etwas beschäftigt hat. Oder „es könnte schlimmer sein“, oder „ach das ist doch kein großes Ding“, „Du hast so viel, wofür du dankbar sein kannst“. Alle diese Aussagen bezeichnen die Gefühle und Probleme einer Person als hinfällig und bringen sie nicht weiter. Stattdessen entsteht nur Scham, dass sie nicht mit der Situation klarkommt und möglicherweise zu empfindlich reagiert, obwohl die Reaktion eigentlich völlig angemessen und normal ist. „Du bist so stark“ kann im richtigen Kontext motivieren und dazu führen, dass eine Person sich in ihrem Bemühen gesehen fühlt. Gleichzeitig kann diese Aussage entkräften, wenn die Person schon zu lange gekämpft, sich gerade Verständnis wünscht und sich einmal fallen lassen möchte.
Positivität wird auch dann giftig, wenn Menschen nicht in der Lage sind, ihre vergangenen Fehler zu untersuchen und diese Fehler zu beheben. Jeder macht Fehler, aber sie mit übertriebenem Selbstvertrauen zu beschönigen, macht es schwierig, aus diesen Fehlern zu lernen.
Aber wie genau lässt sich das auf konstruktiven Journalismus übertragen?
„Für viele Leser (…) und Zuschauer wirkt Schwarz und Weiß so viel ansprechender als das (verschwommene) Grau dazwischen“, sagt Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. „Je provokanter und abstruser die Nachrichten, desto spannender sind sie. (…) Aber es braucht mehr als eine Aufmerksamkeitsspanne von 30 Sekunden oder 280 Zeichen, um ein Problem wirklich auf den Punkt zu bringen.“ Vor diesem Hintergrund kann es leicht passieren, dass man in das komplette Gegenteil vom Negativitätsbias kippt. Die Positivität wird toxisch, wenn sich ausschließlich auf blumige Themen konzentriert wird und jeder Artikel mit einer positiven Note abgerundet wird, obwohl ein Problem vielleicht noch keine klare Lösung hat oder ein Thema an sich nicht schöngeredet werden sollte. Das alles nur, um die eigene Leserschaft zu behalten. Manchmal ist Trauer angemessen, manchmal ist Wut angemessen. Es geht eben nicht darum, „happy Journalismus“ zu betreiben, sondern konstruktiven Journalismus. Eine Balance zwischen negativen und positiven Informationen herzustellen, ist der Kernpunkt des konstruktiven Journalismus.
So würde es beim Thema Klimawandel zum Beispiel nichts bringen, das sehr real vorliegende Problem kleinzureden und das Gefühl zu vermitteln, man „müsse sich überhaupt keinen Stress machen“ und es sei „alles halb so wild“.
Es geht darum, die Welt auf realistische Weise darzustellen, indem sowohl negative als auch positive Themen behandelt und mehrere Perspektiven aufgezeigt werden.
Die Leser:innen sollten nach dem Lesen des Artikels inspiriert sein, sich aber nicht in falscher Sicherheit wiegen.
Ein konstruktiver Journalist sollte seinen Blickwinkel erweitern, mit verschiedenen Ansätzen experimentieren und tiefergreifende Fragen stellen. Das kann dauern und dabei können auch Fehler auftreten. Statt diese Fehler mit toxischer Positivität zu ignorieren oder zu schnelle schwarz-weiß Lösungen anzubieten, sollten konstruktive Journalisten transparent mit ihren eigenen Fallstricken umgehen. Die Öffentlichkeit dabei zu involvieren und eine aktive offene Debatte zu führen ist das Ziel. Konstruktive Journalisten sind kritisch, aber nicht zynisch und haben einen hoffnungsvollen Blick für die Zukunft. Es geht also nicht darum, Probleme zu vermeiden, sondern einen anderen Blickwinkel auf problembehaftete Themen zu richten, und auch darum, mehr Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die in der Gesellschaft gut laufen.
Von Polina Abele
Foto: Symbolbild, Pixabay