Der Protest im Nichtprotest

Tote Bauarbeiter:innen auf den Stadionbaustellen, eine prekäre Menschenrechtssituation, Korruptionsvorwürfe bei der FIFA: Die Liste der medialen Aufreger rund um die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar war schon vor dem Anpfiff lang. Mit dem am Montag veröffentlichten Statement des DFB, aus dem hervorgeht, dass man die One-Love-Kapitänsbinde als Zeichen des Protestes doch nicht tragen werde, ist sie nun noch einen Punkt länger. 

Neben der deutschen Nationalmannschaft wollten sich ursprünglich sechs weitere europäische Mannschaften an der Binden-Aktion beteiligen und ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen. Nun legt man die Kapitänsbinde vor dem skeptischen Auge der FIFA doch ab. Aber mal ehrlich: Von vorneherein ist ein Zeichen des politischen Protestes, dass man mit nicht mehr als dem Tragen einer Kapitänsbinde in die Welt senden möchte, kein besonders großes. Hat der Fußballfan vielleicht auch etwas mehr Haltung von den Berufskickern erwartet? Wer weiß.

Wenn die FIFA ihre Nationalmannschaften im Winter an einen der heißesten Orte am Persischen Golf karren kann, um vor den Augen der Welt, in einem im Sportswashing versunkenen Turnier seinen Weltmeister auszuspielen, dann muss die Glaubwürdigkeit der Verbände schon irgendwo auf dem Weg dorthin verloren gegangen sein. Aber die Kapitänsbinde regelt das schon, oder? 

Der Endgegner des Protestes scheint dabei die gelbe Karte zu sein. Mit dieser droht die FIFA nämlich, wenn die Spieler sich nicht an die vorgegebenen Kleiderregularien halten. Als hätte man es nicht vorher gewusst, legt man die Binde nun widerwillig vor dem Weltverband ab. Zum Glück, denn auf den Kapitänsbinden der FIFA sind ja ebenfalls Floskeln der Weltverbesserung zu lesen. Also eigentlich alles wie vorher.

Ein symbolischer Sieg von FIFA-Boss Infantino über die ungeliebten Europäer rund um den DFB? Nicht ganz. Frei nach dem Motto „Was die nicht können, können wir schon lange“ echauffieren sich Politik, DFB-Partner und die deutsche Medienlandschaft lauthals über den Rückzieher ihrer Fußballer:

Live im ZDF kommentiert beispielsweise Sportreporterin Claudia Neumann symbolisch mit Regenbogenshirt und Regenbogenbinde das Gruppenspiel zwischen den USA und Wales. Einen Tag später beendet Rewe mit sofortiger Wirkung die Kooperation mit dem DFB. Während sich die Mannschaft im ersten Gruppenspiel beim Mannschaftsfoto den Mund zuhält, sitzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf der Tribüne. Am linken Arm trägt sie die One-Love-Kapitänsbinde. Ihr Sitznachbar? Gianni Infantino. Man setzt Zeichen gegen Zensur.

Was bleibt vorerst? Der Rückzieher vom Protest erntet Protest. Protest gegen den DFB, gegen die FIFA und Infantino, gegen ihre Zensur. Es ist ein Protest ohne Grenzen, der ein Zeichen für Mut, Vielfalt und Toleranz setzt. Er zeigt dem DFB wie es gehen könnte.

Von Christoph Pfeiffer

Foto: Symbolbild, Pixabay

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