Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie ziehen sich als Skandale und Krisen durch Jair Bolsonaros vierjährige Amtszeit als brasilianischer Präsident. Nun tritt Ex-Präsident Lula da Silva im Januar 2023 erneut sein Amt an, was Brasilien und den Rest der Welt aufatmen lässt. Er gilt als Hoffnungsträger für Umweltschützer, Indigene und die ärmere Gesellschaft, der das unter Bolsonaro polarisierte Land wieder vereinen will.
Der amerikanische Journalist Glenn Greenwald beschrieb Bolsonaro als „den frauenfeindlichsten, hasserfülltesten gewählten Funktionär der demokratischen Welt“. Dennoch wählten 49,1 Prozent der Brasilianer:innen den Amtierenden Präsidenten Bolsonaro erneut. Damit lag er bei der Stichwahl nur 1,8 Prozent hinter Lula. Bolsonaros Amtszeit war gezeichnet von wachsender Armut, Umweltschändung und einer Pandemie, die vielen Bürger:innen das Leben kostete. Über 600.000 Menschen, um genau zu sein. Bolsonaro verstand die Corona-Pandemie als eine Verschwörung und verharmloste sie als „kleine Grippe“ oder „Schnüpfchen“. Auch zu anderen Themen äußert er sich immer wieder auf schockierende und gewaltverherrlichende Art.
So ist er der Meinung, Frauen seien auf der Welt, um Söhne zu gebären. Er selbst habe „geschwächelt“ als er nach vier Söhnen eine Tochter bekam. Gegen Abtreibung ist er strikt. In einem Interview 2011 betonte er, es sei ihm lieber, sein Kind stürbe an einem Unfall, als dass es homosexuell wäre. Vor allem aber leiden die indigene Bevölkerung und der brasilianische Regenwald unter Bolsonaros Politik. Der Amazonas Regenwald wird als „grüne Lunge“ der Erde bezeichnet. Mit über sechs Millionen Quadratkilometern ist er der größte zusammenhängende Regenwald der Welt und damit größer als die gesamte EU. 60 Prozent der Fläche befinden sich auf brasilianischem Gebiet. 2018 definierten die Klimaforscher Carlos Nobre und Thomas Lovejoy den sogenannten „Kipppunkt des Ökosystems“. Laut ihren Berechnungen würden 20 bis 25 Prozent Abholzung des Regenwaldes dazu führen, dass Ost-, Süd- und Zentralamazonien zu einem savannenartigen Ökosystem werden, was das Weltklima aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Diese 20 Prozent wurden unter Bolsonaro fast erreicht. Noch nie war die Abholzungsrate so hoch. Er glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel und sieht den Regenwald vor allem als wirtschaftliche Nutzfläche.
Lula hingegen reiste sofort nach seiner Wiederwahl zur UN-Klimakonferenz in Scharm asch-Schaich und kündigte an, dass er während seiner Amtszeit die Entwaldung in Brasilien komplett stoppen möchte. Er wolle Landraub von indigenen Territorien verhindern und die Umweltbehörden erneut stärken. Es besteht große Hoffnung, dass die neue Regierung da ansetzt, wo Lula nach seiner ersten Amtszeit von 2003 bis 2011 aufgehört hatte. Damals konnte die Entwaldung durch die erlassenen Gesetzte um 84 Prozent gesenkt werden.
Auch die Bekämpfung der Ernährungsunsicherheit in der brasilianischen Bevölkerung macht Lula da Silva zu seiner Hauptaufgabe. Unter seiner Regierung und der seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff (2010 bis 2016) sank der Hunger innerhalb der Bevölkerung zwischen 2004 und 2013 stark. Es wurden Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, Mindestlöhne und Renten wurden kontinuierlich angepasst und das Einkommen stieg. Durch Sozialprogramme wie „Bolsa Familia“ wurde Sozialhilfe für arme Familien geschaffen, wodurch während Lulas Amtszeit um die 20 Millionen Menschen aus der Unter- in die Mittelschicht aufstiegen. Während 1990 noch ein Fünftel der brasilianischen Bevölkerung in extremer Armut lebte, senkte sich dieser Wert bis 2014 auf 2,7 Prozent.
Doch Bolsonaros Politik und die Corona-Pandemie setzten dem Land stark zu. Bereits vor der Pandemie litten 15,9 Prozent der Bevölkerung Hunger. 2022 veröffentlichten die Forscher:innen des brasilianischen Forschungsnetz für Lebensmittel- und Ernährungssouveränität und -sicherheit neue Zahlen von 33,1 Millionen Hungernden. Demnach ist mehr als die Hälfte (58,7 Prozent) der Bevölkerung in irgendeiner Form von Ernährungsunsicherheit betroffen. Damit ist Brasilien auf das Niveau der 1990er Jahre zurückgefallen.
Bolsonaro hinterlässt Lula nicht nur ein Haushaltsloch und beschädigte Bildungs- und Gesundheitssysteme, sondern auch eine tief gespaltene brasilianische Bevölkerung. Während die einen vor Freude über Lulas Sieg kaum zu halten sind, bricht für andere eine Welt zusammen. Denn es haben dennoch 49,1 Prozent der Brasilianer Bolsonaro ein zweites Mal gewählt. Brasilienexperte und Autor Andreas Nöthen schreibt Bolsonaros große Wählerschaft teilweise dem Misstrauen gegenüber Lula und seiner Partei zu: „Die Menschen sind nicht unbedingt mit Lula einverstanden. Er steht immer noch ein bisschen für seine alte Regierungszeit, die einerseits sehr viel Gutes gebracht hat, aber auch mit großen Korruptionsskandalen verbunden ist.“ 2003 gab es den sogenannten Mensalão, bei dem Lulas Regierung vorgeworfen wurde, Stimmen von anderen Fraktionen gekauft zu haben. 2018 wurde Lula wegen Korruptionsvorwürfen zu zwölf Jahren Haft verurteilt, bis die Anschuldigungen 2021 fallen gelassen wurden. Die Urteile wurden annulliert, theoretisch bestehen die Vorwürfe weiter, wenn das Verfahren neu aufgerollt würde, da das damalige Gericht nicht befugt war, ihn zu verurteilen. Ein Freispruch, wie es vor allem Lulas Anhängerschaft gerne interpretiert, was es nicht. „Bei der Wahl 2018 war es dann so, dass man sich unbedingt mal von dieser Arbeiterpartei befreien wollte. Ganz viele Leute haben gesagt, sie wählen auf keinen Fall Lulas Partei PT, sie wählen etwas anderes oder sie wählen gar nicht. Bei vielen von diesen Leuten hat sich die Haltung nach wie vor nicht geändert. Sie hätten gerne eine dritte Option gehabt, die es aber nicht gab“, so Nöthen.
Lula zog ebenso seinen Vorteil aus der starken Ablehnung einiger Wähler:innen gegenüber Bolsonaro und konnte gleichzeitig ein breites Bündnis aufbauen, welches bis in die politische Mitte reicht. Er ist der Meinung, es sei nun die Zeit gekommen, die Waffen niederzulegen und Brasilien wieder zu einen. „Es gibt nicht zwei Brasilien, wir sind ein einziges Volk, eine große Nation!“, beteuerte er in seiner ersten Rede nach dem Wahlkampf. Auch ans Ausland richtet er sich, allem voran, um im Klimaschutz nun vieles anders und hoffentlich besser zu machen. Er wolle Wohlstand schaffen, ohne die Umwelt zu zerstören. Lula der mit seinen 77 Jahren ein bemerkenswertes Comeback feiert, wird es in seiner dritten Amtszeit nicht einfach haben. Er steht vor enormen Herausforderungen.
„Dennoch, kann man sagen, dass es für alle Beteiligten mit der Wahl Lula besser wird.“, so Nöthen. „Vier Jahre Bolsonaro hätte der Regenwald wahrscheinlich nicht überlebt. Allein deswegen ist es schon ein gutes Zeichen, dass so ein großes Land und eine so große Demokratie sich von diesem autoritären Ansatz zumindest mal ein bisschen Luft verschafft hat. Weg ist er ganz sicherlich nicht, aber es geht nicht ungebremst weiter und das ist eine gute Nachricht.“
Von Sina Krings
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