Gewalt im Amateurfußball – Verbandsarbeit wie sie (nicht) sein sollte
“Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten” – so lautet eine der ältesten Fußballweisheiten, die es auf der Welt gibt. Der Sport ist größer als er je zuvor war, das hat nicht zuletzt das Mega-Event rund um die Weltmeisterschaft in Qatar gezeigt. Was jedoch oft vergessen wird: Damit die modernen Gladiatoren dem grölenden Publikum eine Show der Extraklasse bieten können, braucht es einen Unterbau, der regelmäßig für Nachwuchs sorgt und die Nationalverbände am Leben hält. Vor unserer Haustür übernimmt diese Aufgabe der Hessische Fußballverband (HFV). Und dieser Verband hat ein Problem – jedoch nicht mit den Spielern selbst.
Wo Licht ist, da ist oft auch Schatten. Glanz und Gloria, Preis- und TV-Gelder in Millionenhöhe und schwindelerregende Ablösesummen für Spielertransfers zwischen Fußballclubs machen das Fußballgeschäft zu dem, was es heute ist. Ein Business. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Die negativen Seiten können dabei nicht weg geredet werden. Immer wieder kommt es zu rassistischen Äußerungen auf den Spielfeldern, Raufereien unter den Spielen – oder eben zu tätlichen Angriffen auf die Schiedsrichter. Ein riesiges Problem, über das nur allzu gern geschwiegen wird. Denn ohne Schiedsrichter kann ein Spielbetrieb, wie wir ihn kennen, nicht stattfinden. Dennoch liest und hört man immer wieder von Spuckattacken, Angriffen und schwerer Körperverletzung auf dem “heiligen Rasen”. Ein Problem, zu dem sogar Profischiedsrichter wie Patrick Ittrich Stellung beziehen und öffentlich klar machen: “Im Amateurbereich werden Schiris immer öfter Opfer von Gewalt. Was ist los Leute? Wir haben hier ein gesamtgesellschaftliches Problem”. Aber stimmt das auch?
Nur allzu gerne schmücken sich die Verbände durch Hochglanzkampagnen mit klanghaften Namen, wie “Zeig Rassismus die Rote Karte”, “Fußball verein(t) gegen Rassismus” oder den etablierten “Fair Play-Tagen“. Sie sollen der Öffentlichkeit immer wieder zeigen, dass man sich einsetzt und klare Kante zeigt, wenn es um Gewalt, Rassismus oder Beleidigungen geht. Und dennoch zeigt das neueste DFB-Lagebild: Die Anzahl an Spielabbrüchen in Deutschland wegen solcher Probleme steigt stetig weiter an. In der Saison 2021/22 wurden unter allen erfassten Partien 5.582 Vorfälle gemeldet, davon 3.544 Gewalthandlungen und 2.389 Diskriminierungen. Das mag vielleicht nicht nach viel klingen, bedeutet aber am Ende des Tages, dass über 1.300 Amateurspiele abgebrochen werden mussten.
Beim DFB nimmt man die Situation laut eigener Aussage “sehr ernst”. Aber der DFB ist eben nicht der HFV. Auf unsere Anfrage zu den genauen Zahlen im Landkreis Darmstadt-Dieburg folgte betretenes Schweigen. Dann fast schon ohrenbetäubende Stille. Man hätte den Eindruck gewinnen können, dass der Verband nicht über das Thema reden wollte. Der Landessportbund, der ebenfalls eine Anfrage zu den Angriffen auf Schiedsrichter erhalten hatte, verwies noch einmal auf die Zuständigkeit des Hessischen Fußballverbandes. Nach einer Wartezeit von einem Monat und dem Verweis auf Kommunikationsfehler kam dann von eben diesem Verband doch noch eine Antwort. Nämlich die, dass der HFV keinerlei Statistik zu dem Problem erfassen würde. Wow! Ein Schlag ins Gesicht eines jeden Schiedsrichters, der bereits ein Opfer von Gewalt auf dem Fußballfeld wurde. Der Verband scheint es nicht einmal für nötig zu halten, diese Fälle aufzuzeichnen und wirklich an Lösungen zu arbeiten. Schon eine kurze Internetsuche reicht, um zu sehen: Das Problem ist in Hessen keine Lappalie und auch keine Eintagsfliege.
Geht so also Verbandsarbeit? Spieler, die sich eine gewalttätige Auseinandersetzung auf dem Feld oder eine grobe Unsportlichkeit wie eine Spuckattacke leisten, werden aktuell für einige Wochen gesperrt. In dieser Zeit dürfen sie nicht aktiv an Spielen ihrer Mannschaft teilnehmen – eine Strafe, die abstruser nicht sein könnte. Denn nach Ablauf der Sperre wird munter weiter gegen den Ball, den Gegner oder eben gegen den Schiedsrichter getreten. Ganz nach dem täglichen Befinden der Fußball-Rowdys. Auf die Frage, ob man diese Art der Strafe nicht überdenken sollte, schob der Verband die Zuständigkeit von sich. Die Sportgerichte müssten hier handeln und über dauerhafte Ausschlüsse vom Spielbetrieb nachdenken. Warum der HFV an dieser Stelle nicht eingreift, liegt laut einem Sprecher daran, dass man “wahrscheinlich Angst davor hat, dass der Nachwuchs künftig ausbleibt”. Man züchtet sich also lieber Treter und Schläger heran, die am Wochenende ihren angestauten Frust an Ehrenamtlern ausprügeln können, anstatt einer Imagekampagne auch Taten folgen zu lassen. Wer die Angst vor möglichem Vereinssterben dem Wohlergehen von Schiedsrichtern, die ein essenzieller Teil des Sports sind, vorzieht, der sorgt selbst für das Ausbleiben des Nachwuchses!
Wenn sich der HFV nach außen verkauft, als würde er die Probleme ernster nehmen, als es intern der Fall ist, weil es eben seit einiger Zeit bereits zu funktionieren scheint, dann darf man sich auf Verbandsseite nicht darüber wundern, wenn die Lage auf den Fußballplätzen in der Region immer prekärer wird. Verbandsarbeit muss eben manchmal auch denen weh tun, die den Sport betreiben wollen – nicht nur denen, die für seine regelkonforme Durchführung stehen. Auch die Polizei hatte auf Nachfrage keine dezidierte Kenntnis von den genauen Fallzahlen von gewaltvollen Übergriffen auf südhessischen Sportplätzen. Auf unsere Anfrage hin wurde darauf verwiesen, dass jeder Fall individuell zur Anzeige gebracht werden sollte. Denn Körperverletzung bleibt Körperverletzung. Auch, wenn sie auf einem Fußballfeld stattfindet. So könne man die Täter auch nachhaltig verfolgen und eine “Verharmlosung” der Einzelfälle verhindern. Die Beamten sahen jedoch auch die Vereine und den Fußballverband in der Pflicht, die Situation grundsätzlich zu verbessern.
Klar dürfte jedoch sein: mit Schuldzuweisungen, Wegschauen und einem rasch endenden Zuständigkeitsbereich können die Probleme der Nachwuchssportler und -schiedsrichter nicht bekämpft werden. Gegen die Gewalt auf Hessens Fußballplätzen kann man nur gemeinsam etwas erreichen – und das auch nur, wenn jeder das Problem auch als solches behandelt, anstatt sich wegzuducken.
Von Marco Schüler
Foto: Symbolbild, Pixabay