Das Alphabet der Generationenkonflikte

Wer X und Y sagt muss auch Z sagen – so oder so ähnlich lautet ein bekanntes Sprichwort. Doch welchen großen Unterschied die jeweiligen Buchstaben machen können zeigt sich auch am Beispiel von Generationskonflikten. Traditionell werden die verschiedenen Generationen durch spezifische Buchstaben markiert und gekennzeichnet. Darüber hinaus werden sie anhand ihrer Jahreszugehörigkeit unterteilt, wobei ihnen konkrete Merkmale, Eigenschaften und Charakteristika zugeordnet werden, deren Ursprünge insbesondere den Lebensbedingungen und prägenden zeitlichen Ereignissen der jeweiligen Jahrzehnte entsprechen.

Die durch die 50er-Jahre geprägte „Baby-Boomer“- Generation wurde als erste Nachkriegsgeneration durch den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder in Deutschland zu einer leistungsorientierten sowie antiautoritären Gesellschaft erzogen. Dabei standen Werte wie Status und Karriere, aber auch Stabilität und Beständigkeit im Vordergrund. Die Gesellschaft musste sich von den Kriegserfahrungen erholen, den nationalsozialistischen Ballast abbauen, Frauen als wichtige Säule der Gesellschaft anerkennen und all dies in die demokratischen Strukturen integrieren. Diese traditionellen und konservativen Strukturen veränderten sich mit dem schleichenden Beginn der Digitalisierung und dem Zusammenbruch nationalsozialistischer Strukturen. Die „Slacker“ wurden als Generation X zwischen 1965 und 1978 in eine analoge Welt hineingeboren, erarbeiteten sich durch Fleiß, Strebsamkeit und Offenheit die digitale Welt und lernten die Vorzüge beider Welten miteinander zu verbinden. Dennoch blieb die Gesellschaft nicht von Herausforderungen und humanitären Katastrophen wie Tschernobyl oder den Terror durch die RAF verschont. Es entstand ein verstärktes Streben nach höherer Lebensqualität und Sicherheit, wodurch Arbeit kein dringendes Bedürfnis, sondern ein Mittel zum Zweck wurde. Der Wandel von „Leben um zu arbeiten“ zu „Arbeiten um zu Leben“ führte bereits zu Differenzen zwischen den Generationen. Den Prozess der Transformation von einer Industrie zu einer Informationsgesellschaft durften dann die Milennials der Generation Y erleben und beeinflussen. Aufgrund der neuen Möglichkeiten waren Sie nun in der Lage Privatleben und Arbeit miteinander zu verbinden. Mit dem Mauerfall 1989 und der Wiedervereinigung änderten sich sämtliche gesellschaftliche und politische Strukturen erneut maßgeblich. Es kam zu dem Beginn einer langen Krisenphase, welche auch die Lebensumstände der Generation Z stark beeinflussen sollte. Die Finanz-, Bildungs- und Wirtschaftskrise, sowie die schwierige Lage im Irak oder Afghanistan nahmen Einfluss auf gesellschaftliche Debatten. Auf die Einführung der sozialen Marktwirtschaft folgten wachsende wirtschaftliche Probleme sowie eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Dies legte damit auch den Grundstein für einen späteren Fachkräftemangel. Im Vergleich zu ihren Eltern nutzen die „Digital Natives“ der Generation Z aber ab 2000 die Möglichkeiten der digitalen Welt als wichtigsten Bestandteil der Kommunikation und wachsen in einer „Multioptionsgesellschaft“ auf, in welcher die globale Vernetzung und der nahezu unendliche Zugang zu Informationen einen neuen Horizont an Diversität und Selbstverwirklichung ermöglicht. Das Internet wird immer mehr zum selbstverständlichen Zugang und Portal für Informationen und Debatten hinsichtlich gesellschaftlicher und weltweiter Themen und Krisen. Wie alle anderen Generationen zuvor nehmen die „Zoomer“ als Ressource und Trendsetter der unmittelbaren Zukunft Einfluss auf unsere Gesellschaft und müssen sich gleichzeitig mit den Vorwürfen ihrer Vorgänger von Faulheit und Verwöhnung auseinander setzen, wobei deren eigene Probleme und Bedürfnisse trivialisiert werden. Der Generationenkonflikt ist dabei so alt wie die Menschheit selbst, ist aktueller denn je und spiegelt sich in vielen verschiedenen Aspekten innerhalb unserer Gesellschaft wieder. Der Umgang mit der Klimakrise, der Fachkräftemangel, die generelle Situation auf dem Arbeitsmarkt und die Pandemie sind nur einige Beispiele für das Aufeinandertreffen verschiedener Ansichten und Meinungen der unterschiedlichen Generationen in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Zwei Aspekte fallen daher bei näherer Betrachtung auf. Zum Einen wird jede neue Generation durch andere Erwartungen, andere Lebensereignisse, eine andere Weltsicht, andere Wertemuster und durch die Erfahrungen und Erziehung ihrer Eltern und Großeltern geprägt. Zum Anderen funktioniert der Generationenkonflikt immer gleich: Die Identifikation mit der eigenen sozialen Gruppe erfolgt insbesondere durch Abwertung und Ausgrenzung der jeweils anderen Gruppe. Die neue Generation fordert in wichtigen gesellschaftlichen, sowie politischen Entscheidungen berücksichtigt und mit eingebunden zu werden, während die alte Generation ein gewisses Maß an Konformität erwartet. Forderungen und Erwartungen liegen nah beieinander stehen aber im Widerspruch zur Nächstenliebe und Funktionalität einer Gesellschaft. Diese Diskrepanz führt unweigerlich zu Generationskonflikten, übernimmt dabei aber auch eine wichtige Funktion für die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Die Schnittmenge zwischen Forderungen und Erwartungen in einer Gesellschaft ist der Dialog – und dieser ist für eine Stabilität dringend notwendig.

Die Unzufriedenheit der jüngeren Bevölkerung wirkt zunächst berechtigt, denn die Boomer gelten als statistisch größte Population aller bisheriger Generationen und war damit demografisch so groß und relevant, dass sie politisch etwas bewegen konnte, wohingegen die Millennials oder Zoomer eine im Vergleich dazu kleine Gruppe sind. Dementsprechend gestaltet es sich für diese Generation wesentlich schwerer einen Einfluss auf demokratische, politische und gesellschaftliche Prozesse zu nehmen. Die Politik mitsamt der damit verbundenen Entscheidungen geht an der jungen Bevölkerung vorbei, weil die jüngeren Wähler:innen schlichtweg durch die Älteren überstimmt werden, obwohl gerade Erstere die Konsequenzen übernehmen müssen. Dasselbe Problem zeigt sich auch im Umgang mit der Klimakrise oder der Pandemie. Gleichzeitig musste die junge Bevölkerungsgruppe während der Pandemie Rücksicht auf Ältere nehmen und zahlte den hohen Preis der Freiheitsberaubung, eine verspätete Impf-Berücksichtigung bei dafür vergleichsweise hoher Undankbarkeit der Geschützten. Kurz gesagt, die den Schaden verursachen, müssen ihn nicht mehr ausbaden und die, die ihn ausbaden müssen, haben keine Macht, ihn zu verhindern.

Die Generation Z wuchs zu den vermutlich bisher bestmöglichen Lebensbedingungen auf, weil die Kinder im Gegensatz zu früheren Zeiten deutlich stärker im Mittelpunkt standen, in Entscheidungen mit einbezogen, motiviert und gelobt wurden. Dennoch zeigt sich in aktuellen Armutsberichten, dass Studierende mitunter am meisten oder besonders von Armut betroffen sind. Das Akademikerleben ist schließlich attraktiver als das klassische Handwerk, zumindest wurden ihnen diese Werte vermittelt. Statistiken wiederum belegen, das Zoomer bis zu achtmal den Job wechseln wollen oder müssen und das freiberufliches Arbeiten im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten auf bis zu 30 Prozent angestiegen ist. Die älteren Generationen legen mehr Wert auf Beständigkeit und Karriere, vergessen dabei aber das sich die Arbeitswelt verändert hat und sich immer in einem ständigen Wandel befindet. Heutzutage lässt sich ein Job durch bessere Strukturen und vereinfachter Jobsuche einfacher kündigen, flexibler arbeiten und ermöglicht daher auch das Ausprobieren verschiedener Berufe oder Branchen. Gleichzeitig wird das Rentenalter immer höher gesetzt, sodass die Erwerbsbiographie deutlich destruktiver ausfällt als die der Eltern und Großeltern und langfristig ein gutes körperliches und geistiges Wohlbefinden auch für das längere Berufsleben relevanter wird. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass Arbeit nicht mehr wert geschätzt wird. Das verstärkte Gesundheits- und Umweltbewusstsein sowie der Wunsch nach mehr Selbstverwirklichung, Flexibilität und einer Work-Life-Balance der jungen Generation wird nur fälschlicherweise von den älteren Generationen als verwöhnte und undankbare Wunschvorstellungen interpretiert. Dabei hat die Generation Z von ihren Eltern gelernt und will es gerade deswegen besser machen. Sie zeigen Sorge und aktives Verhalten, wenn es um körperliche und seelische Gesundheit sowie Nachhaltigkeit oder Umweltbewusstsein geht. Dies liegt nicht zuletzt auch an deren Problemen, welche Millennials oder Boomer häufig nicht nachvollziehen können. Dazu gehört der ständige und hohe Erwartungs- und Leistungsdruck, die ständigen Vergleiche in sozialen Netzwerken und das Kämpfen um Aufmerksamkeit und Anerkennung der Älteren. Kein Wunder also, das sich die jüngeren Generationen seit Jahrzehnten als Aktivisten Gehör verschaffen wollen oder müssen. Die Vergangenheit hat gezeigt das Aktivismus oftmals die einzige Stimme der Jugend ist. Bekanntlich wiederholt sich die Geschichte. Mittlerweile werden zumindest vereinzelt auch Vertreter der Jugend in mediale Debatten mit eingebunden, stellen aber weiterhin nur eine Minderheit dar und suchen stattdessen zum Beispiel als Klimakleber:innen oder Influencer:innen nach großflächiger und langfristiger Aufmerksamkeit. Nichtsdestotrotz sollten die Zoomer und auch die kommenden „Alphas“ der nächsten Generation manchmal auch gebremst werden. Denn egal wie informiert die junge Bevölkerung auch sein mag, die Erfahrung der Älteren kann auch hochmotivierter Aktivismus nicht ersetzen. Es gilt daher die Lebenserfahrung mit Innovation zu verbinden, um bereits gemachte Fehler zu vermeiden und gemeinsam die Zukunft aller zu verbessern. Die Zugehörigkeit zu einer Generation und die diesbezüglichen Merkmale haben nichts mit dem Alter zu tun, denn Generationen sind keine homogenen Gruppen. Menschen im selben Alter, mit der gleichen Herkunft oder mit der gleichen Erziehung können letztlich trotzdem unterschiedliche Werte, Meinungen oder Prinzipien vertreten. Diese Eindrücke ergeben sich letztlich aus den unterschiedlichen Erfahrungen und Gesellschaftsereignissen der jeweiligen Periode und sind für einen Vergleich nur als Prognose geeignet.

Der Konflikt zwischen Generationen oder der Kampf Jung gegen Alt sind keine neuen Phänomene, sie werden nur durch andere und neue Inhalte gefüttert. Den Statistiken des statistischen Bundesamtes lässt sich entnehmen, dass sich der Trend eines ungleichen und unausgewogenen Generationsverhältnisses innerhalb unserer Gesellschaft noch mindestens bis zum Jahr 2050 fortsetzen wird, wodurch ein besserer Umgang mit dieser Problematik nur umso dringlicher erscheinen sollte. Generation „Alpha“ wird durch die Werte der Generation Z, aber auch durch die Handlungen und Entscheidungen unserer jetzigen Gesellschaft geprägt werden. Ganz egal ob Alphamännchen oder Alphaweibchen die Zukunft wird der Generation Alpha gehören. Auch wenn die Vereinten Nationen 1992 Jugendliche als „Major Group“ anerkannt haben, um diese politisch zu berücksichtigen und zu integrieren, bleibt dies solange nur eine symbolische Inszenierung bis die jungen Menschen wirklich ernsthaft in politische Prozesse miteinbezogen werden. Ereignisse wie die Studentenbewegung 1968 oder die „Atomkraft? Nein danke“ – Demonstrationen sind Beispiele dafür, welche Auswirkungen es haben kann die Interessen vermeintlich politisch machtloser Menschen zu ignorieren. Gleichzeitig zeigt dies aber auch, welchen Druck Aktivismus auf die Politik erzeugen kann. Aktuelle Beispiele wie „Fridays for Future“, die „Letzte Generation“ oder die Klimaproteste in Lützerath verdeutlichen die Notwendigkeit politischer Dialoge auch in unserer heutigen Zeit. Dabei gibt es auch Beispiele für sinnvolle Initiativen eines intergenerativen Dialogs. Seit Anfang 1990 existiert die Bundesinitiative „Dialog der Generationen“, welche durch verschiedene Projekte eine Brücke zwischen Jung und Alt herstellt. Auch die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung setzt sich für einen politischen Dialog zwischen den Generationen ein und hat eigens dafür eine Onlineplattform mit dem passenden Namen „Lasst uns streiten“ eingerichtet. Bedauerlicherweise erhalten viele solcher Projekte keinerlei bis wenig mediale Aufmerksamkeit. Letztlich hat jede Generation ein Recht darauf ihre eigenen Fehler zu machen, aber wir alle sitzen im selben Boot. Leider können wir uns nicht aussuchen wer mit uns drinnen sitzt. Aber wir können bestimmen in welche Richtung wir uns bewegen. Evolution und Entwicklung ist nur möglich wenn Fortschritte stattfinden. Alter ist nur eine Zahl, Generationen sind nur Labels. Die einzige Konstante ist die Veränderung und dies gilt für alle Generationen. Doch dieser ganze Generationen Buchstabensalat hat auch etwas gutes, denn fügt man die Buchstaben in eine sinnvolle Reihenfolge kommt dabei bestenfalls eine gelungene Satzkonstruktion heraus – und jeder Dialog fängt erst einmal mit einem ersten Buchstaben an.

Von Michael Blum

Foto: Symbolbild, Pixabay

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