Dement – und dann? 

Alter und Krankheit: zwei Themen, mit denen wir uns nicht wirklich gerne auseinandersetzen. Die so lange verdrängt werden, bis sie unweigerlich vor der eigenen Haustür erscheinen, anklopfen und nicht mehr zu ignorieren sind. Die keinen Platz finden in unserer auf Hochleistung getrimmten Gesellschaft. Aber wir müssen uns mehr damit beschäftigen, auch wenn das unangenehm ist. Denn es betrifft uns alle, und das in den nächsten Jahrzehnten auch noch einmal mehr. Deutschland wird immer älter, Demenzerkrankungen werden somit häufiger auftreten. Setzen wir uns also hin und werfen einen Blick in die Zukunft, die uns erwartet. 

Bessere gesundheitliche Versorgung und ein erhöhter Lebensstandard werden auch in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass der Mensch in Deutschland immer älter wird. So ist die zunehmende Zahl der Menschen ab 65 Jahren einer der wichtigsten Faktoren im demografischen Wandel in Deutschland. Wenn wir uns die Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 1990 bis 2018 ansehen, dann wird deutlich, dass dieser Trend nicht erst seit gestern stattfindet. Denn die Anzahl der über 65-Jährigen ist in diesem Zeitraum um 50 Prozent angestiegen – von 11,9 Millionen auf 17,9 Millionen. Der Bevölkerungsanteil der Menschen im Alter zwischen 65 und 84 Jahren soll bis 2037 auf bis zu 20 Millionen anwachsen. Die Gruppe der Menschen ab 85 Jahren wird bis Anfang der 2030er Jahre auf etwa drei Millionen steigen und mit den Jahren durch die nachrutschenden Gruppen noch weiter zunehmen. 

Klingt doch auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, dass wir immer länger leben können. Wären da nicht altersbedingte Erkrankungen, die dadurch immer mehr von uns treffen werden. Eine davon ist die Demenz, die zwar in jeder Altersgruppe auftreten kann, im höheren Alter jedoch besonders häufig ist. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, die den Abbau und Verlust von kognitiven Fähigkeiten bezeichnet und Bereiche wie die Aufmerksamkeit, Orientierung, das Gedächtnis und Lernen sowie Sprache, Motorik und die Fähigkeit zum sozialen Austausch betrifft. Demenz ist nicht heilbar und schreitet mit der Zeit voran, was für die betroffene Person immer größer werdende Beeinträchtigungen im Alltag zur Folge hat. Bereits heute leben über eineinhalb Millionen Menschen in Deutschland mit dieser Diagnose. Genauer gesagt sind es bei den über 65-Jährigen 1.696.900 Menschen, wie das Statistische Bundesamt im Jahre 2021 erhoben hat. Nach den statistischen Voraussagen könnten es bereits in 2030 zwei Millionen und 2050 schon 2,8 Millionen Menschen sein. 

Statistisch gesehen kennt jeder von uns also zumindest eine Person, die an einer Demenz erkrankt ist. In Zukunft wird dies noch wahrscheinlicher sein, wenn nicht sogar wir selbst mit dieser Krankheit diagnostiziert werden. Kein schöner Gedanke, aber einer, der gedacht werden muss. Und der uns allen eine wichtige Frage aufdrängt: Wie wollen wir in Zukunft mit der Erkrankung und den Erkrankten umgehen? Momentan werden etwa zwei Drittel der Menschen mit Demenz zuhause von Angehörigen gepflegt. Aber spätestens, wenn die Krankheit zu weit vorgeschritten ist, muss sich nach einem professionellen Pflegeplatz umgesehen werden. Und die sind ziemlich rar, wenn es eine Einrichtung mit spezieller Demenz-Abteilung sein soll. Bei den Pflegeheimen hat sich in etwa jede fünfte stationäre Einrichtung auf Demenz spezialisiert oder bietet einen eigenen Bereich für dementiell veränderte Patienten an. Das sind in etwa 2.275 Heime in ganz Deutschland. Man rät den Angehörigen, sich schnellstmöglich auf eine Warteliste setzen zu lassen, damit am Ende eine reelle Chance auf einen Pflegeplatz besteht. Und selbst wenn ein Platz in einer Einrichtung ergattert wurde, ist nicht alles gut. Immer häufiger gelangen Tatsachenberichte von Insidern ans Tageslicht, die horrende Situationen in unseren Pflegestationen veröffentlichen. Es sind Berichte von überforderten Pflegekräften, eingesperrten Menschen, Verwahrlosung und Medikamentengabe zur Ruhigstellung der Patient:innen. 

Wenn wir in Anbetracht der bereits heute prekären Situation auf die wachsende Zahl der Demenzpatienten sehen, dann sieht die Zukunft diesbezüglich nahezu dystopisch aus. Auch der immer stärker werdende Fachkräftemangel in deutschen Pflegeeinrichtungen hilft nicht, diese düstere Zukunftsprognose zu entkräften. Was also sollen wir tun, um diese Vorstellung nicht Wirklichkeit werden zu lassen? 

Eine Gegenbewegung zu den herkömmlichen Einrichtungen, die eine Lösung der Probleme bieten will, ist die Schaffung sogenannter “Demenzdörfer”.  Darunter versteht man eine Pflegeform speziell für demenziell veränderte Personen, die in Hausgemeinschaften in einer nach außen abgeschlossenen Siedlung leben. Hierbei soll alles auf die Patient:innen zugeschnitten sein und dabei dennoch den Patienten ein Gefühl von normalem Alltag bieten. Typischerweise gibt es in solchen Dörfern dann auch Geschäfte wie einen Friseur, Lebensmittelläden oder Cafés. Im Jahr2014 wurde das erste Dorf seiner Art in Deutschland eröffnet, und zwar in Tönebön am See. Dieses bietet insgesamt 52 Pflegeplätze an. Bis heute gibt es aber nur eine Handvoll solcher Einrichtungen in Deutschland. Die wenigen vorhandenen Plätze stellen bereits einen Nachteil dieser Einrichtungen dar. Auch sind die Kosten, die für einen solchen Platz in der Einrichtung zu tragen sind, nicht zu vernachlässigen. Dies ist aber auch bei herkömmlichen Pflegeeinrichtungen der Fall. Darüber hinaus ist durch eine wissenschaftliche Studie der Cambridge Universität bestätigt worden, dass in Demenzdörfern der Einsatz von ruhigstellenden Medikamenten verringert werden konnte. Auch sind die Beschäftigten in diesen Einrichtungen viel zufriedener – kein Wunder, da sich diese um deutlich weniger Patienten gleichzeitig kümmern müssen. 

Dies wirft aber gleichzeitig auch wieder eine Frage auf: Haben Demenzdörfer das Potential, eine großflächige Alternative zu den herkömmlichen Pflegeeinrichtungen zu werden, gerade in Anbetracht des Fachkräftemangels? Ich denke nicht. Nicht, solange wir in Deutschland die Alternden und das Pflegepersonal so vernachlässigen. Aber diese Projekte geben auch Mut und Anreiz für die Zukunft. So wie es momentan ist, kann es nicht bleiben. Wir als Gesellschaft und die Politik müssen das Altern und Krankwerden endlich zum Thema machen und nicht mehr verschämt in die letzte Ecke des Bewusstseins verdrängen. 

Von Stefanie Eller

Foto: Symbolbild, Pixabay

Empfohlene Artikel